Die Maschine

Die nachfolgende Geschichte ist entstanden als Beitrag zu Schreib mit mir Teil 3 (Der Dachboden) von Jettes Blog offenschreiben. Ich hab meine Geschichte allerdings nicht „Der Dachboden“ genannt, sondern „Die Maschine“, da der Dachboden an sich gar keine so große Rolle spielt. Danke an Jette für diese Herausforderung! Folgendes war als Rahmenbedingung für die Geschichte vorgegeben:

Setting:
Dein/e Protagonist/in hat das Haus von seinen/ihren Eltern geerbt und räumt nun erst einmal auf. Er/sie durchsucht den staubigen Dachboden. Einige Dinge wurden von seinen/ihren Eltern zurückgelassen. In einer Kiste in der letzten Ecke findet er/sie ein komisches Gerät und eine Liste mit Namen.
Was ist das für ein Gerät? Was hat es mit den Namen auf sich?

Gegenstände:
Die Liste, das komische Gerät, eine Tasse Kaffee

Wortumfang:
Höchstens 10.000 Worte

(von Jettes Blog übernommen)

Viel Spaß nun mit der Geschichte „Die Maschine“!

♦♦♦

„Puh, bäh.“ Ich versuche, das staubige Spinnennetz, das ich soeben aus Versehen in den Mund bekommen habe, mit den Zähnen von meiner Zunge zu kratzen und auszuspucken. Spinnennetze schmecken wirklich nicht gut, vor allem dann nicht, wenn Staub von mehreren vergangenen Jahrzehnten daran klebt.

Nachdem ich zumindest das Meiste dieser antiken, tierischen Baukunst, die ich leichtsinnig zerstört habe, wieder losgeworden bin, krieche ich weiter über den mit Teppich ausgelegten Dachboden im Haus meiner Eltern. Zum Glück leide ich nicht an Asthma oder Stauballergie. Aber wer legt schon einen Dachboden mit Teppich aus? Mit meiner Taschenlampe kann ich die feine, weiße Schicht, mit der alles hier oben überzogen ist, deutlich erkennen. Und da der Dachboden so niedrig ist, dass ich nicht aufrecht gehen kann, sondern mich auf allen Vieren vorwärtsbewegen muss, sind meine Knie und Handflächen ebenfalls schon ganz weiß. Ich habe keine Ahnung, wann hier zuletzt jemand hochgekommen ist. Es führt lediglich eine Dachluke mit ausklappbarer Holzleiter in dieses oberste Stockwerk. Meine Eltern waren gegen Ende hin körperlich nicht mehr so fit, also dürfte es schon einige Jahre her sein.

Den Rest des Hauses, das ich vor Kurzem von meinen verstorbenen Eltern geerbt habe, habe ich mittlerweile schon unter die Lupe genommen; nur der Dachboden hat noch gefehlt. In diesem letzten Raum sehe ich nun auf meiner Erkundungstour viele Kartons, beschriftet mit Sachen wie „Christbaumkugeln“, „Puppenhaus“ oder „Schulsachen 3. Klasse“, sowie einzelne Möbelstücke, die im Wohnbereich keinen Platz mehr hatten, aber offenbar auch nicht weggeworfen oder verschenkt wurden. Meinen eigenen Kram habe ich, abgesehen wohl von den „Schulsachen 3. Klasse“, bereits vor längerer Zeit zu mir in meine eigene Wohnung mitgenommen. An ein Puppenhaus kann ich mich nicht erinnern. Vielleicht ist das tatsächlich noch von meiner Mutter.

Im hintersten Eck auf der rechten Seite von der Dachluke aus gesehen leuchte ich noch einmal alles ab. Mein Blick fällt auf eine zerknitterte Plastiktüte mit einem bunten Sammelsurium an Wollknäueln drin sowie auf ein kleines Holzkästchen. Dieses Kästchen ist nicht beschriftet und ich kann auch sonst nicht erkennen, was darin ist. Es ist vielleicht zwanzig auf zwanzig Zentimeter groß und etwa zehn Zentimeter hoch. Ich nehme es von dem Karton mit Aufschrift „Christbaumkerzen“ und trage es zurück zur Dachluke. Mit Taschenlampe und Holzkästchen in der Hand kann ich nun nur noch auf den Knien vorwärts watscheln. Beim Umdrehen stoße ich dabei mit dem Kopf beinahe gegen ein unbewohntes Wespennest, das trocken vom mittleren Balken über mir hängt. Im letzten Moment weiche ich dem papierartigen, grauen Etwas aus und gelange unbeschadet zum Dachbodenaufgang. Ich beschließe, die linke Hälfte des Dachbodens nach einer kurzen Pause zu inspizieren und steige mit dem Kästchen die Holzleiter nach unten. Die Taschenlampe lasse ich gleich im Dachboden liegen. Im Rest des Hauses gibt es ja normales Licht. Außerdem ist es mitten am Vormittag, in etwa elf Uhr, vermute ich. Die Sonne scheint, nur leider nicht in den Dachboden, denn der hat keine Fenster und sinnigerweise auch keinen Strom.

Ich gehe in die Küche und schalte erst mal die Kaffeemaschine an. Es ist so ein stinknormales Gerät, für das man noch Filtertüten und losen Kaffee benötigt. Zum Glück war beides noch im Haus. Das Kästchen bleibt erst mal auf dem Küchentisch liegen, während ich schnell im Bad verschwinde, um mir den Dachbodenstaub von Händen und Gesicht zu waschen und meine Haare zumindest kurz durchzukämmen, um die größten Holzspäne, die sich darin verfangen haben, loszuwerden.

Neugierig setze ich mich dann an den Küchentisch und greife nach der kleinen Holzkiste, während im Hintergrund das Wasser gemächlich durch das Kaffeepulver in die Kanne darunter tropft. Die Kiste ist mit einem kleinen Riegel aus Metall verschlossen, den ich jedoch ohne Schlüssel aufbekomme. Zumindest unter Anwendung von sanfter Gewalt. Während der Zeit auf dem Dachboden müssen sich die Materialien etwas verzogen haben, sodass der Riegel zunächst klemmt, aber mit der Hilfe eines Messers aus der Besteckschublade habe ich die Holzkiste binnen weniger Sekunden geöffnet.

Es klingelt an der Haustür.

Nach einem nur flüchtigen Blick ins Innere des Holzkistchens, ohne wirklich zu erkennen, was sich darin befindet, stehe ich auf und gehe zum Eingang. Wer kann das sein? Vielleicht der Postbote. Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass auch Verstorbene noch Briefe zugestellt bekommen. Oder zumindest Werbung. Ich öffne die Tür, doch es steht niemand davor. Ich blicke in den menschenleeren Vorgarten, trete einen Schritt nach draußen und schaue mich noch einmal genauer um. Ein kühler Luftzug fährt mir unter die Kleidung. Es ist niemand zu sehen, in der ganzen Straße nicht. Es ist elf Uhr Vormittag und es ist alles still. Ein paar Wolken ziehen vom Horizont her auf mich zu.

Mit einem Schulterzucken gehe ich ins Haus zurück. Da müssen sich ein paar Kinder einen Streich erlaubt haben. Vielleicht hatten sie früher Schule aus und auf dem Heimweg nichts Besseres zu tun, als Klingeln zu putzen. Mit einem Lächeln hake ich die Angelegenheit ab und konzentriere mich wieder auf mein eigenes Unterfangen: den Dachboden. Zunächst aber greife ich nach meiner Tasse von heute Morgen und schenke mir den frisch gebrühten, dampfenden Kaffee ein. Ich schnuppere kurz daran und setze mich zurück an den Tisch. Der Kaffee ist noch zu heiß, um ihn gleich zu trinken, also befasse ich mich zunächst wieder mit dem Holzkästchen und dessen Inhalt. Ich klappe den Deckel nun komplett nach hinten und sehe im Innern eine seltsame Metallkonstruktion, vielleicht eine Art Maschine. Sie ist etwas verstaubt und ich fasse sie vorsichtig an um zu prüfen, ob ich sie aus der Kiste heben kann. Kann ich.

In der Hoffnung, nicht gleich ein abgebrochenes Teil in Händen zu halten, stelle ich die Maschine auf dem Tisch vor mir ab. Sie ist nicht sonderlich schwer, aber ich habe wirklich keine Ahnung, zu was sie gut sein sollte. Ich habe sie noch nie gesehen und meine Eltern haben auch nie etwas dergleichen erwähnt. Ein bisschen schaut das Teil aus wie eine übergroße Version dieser Spieluhren zum Kurbeln, bei denen über eine Walze mit Zähnen und darüber gleitenden Metallzungen eine Melodie erzeugt wird. Es befindet sich nämlich an einer Seite eine kleine Stange mit Griff, mit der offenbar etwas angetrieben werden kann.

Ich greife nach meiner Kaffeetasse, doch schon beim Hinfassen merke ich, dass das Getränk immer noch zu heiß ist. Also versuche ich stattdessen mein Glück und drehe behutsam an der Kurbel des komischen Geräts. Nichts passiert. Die Scheibe, an der die Kurbel festgemacht ist, dreht sich zwar, aber ansonsten kann ich nichts erkennen. Auch nichts hören.

Ich greife nochmals nach der Holzkiste, auf der Suche nach einer Aufschrift, einer Anleitung oder irgendetwas, das Aufschluss darüber gibt, zu was dieses Ding gut ist. Mir kommt der Gedanke, dass es vielleicht etwas zum Basteln ist. Meine Mutter hat früher schließlich viel gebastelt. Vielleicht ist das Gerät sogar ein Erbstück von Oma, das es heute so gar nicht mehr zu kaufen gibt. Aber wozu ist es gut?

Ich halte das Holzkästchen über mich, um auf den Boden von unten schauen zu können, kann dort aber keine Aufschrift sehen. Auf dem Deckel und den Seiten ebenfalls nicht. Im Innern liegt auch nichts weiter. Wahrscheinlich ist die Anleitung verloren gegangen. Wenn es wirklich noch aus Omas Zeiten ist, wundert mich das nicht.

Ich will die Kiste gerade zurückstellen, als ich kurz innehalte. Dann muss ich über mich selber lachen. Mit dem kleinen Finger greife ich in ein halbkreisförmiges Loch, das an einer der Außenkanten des Bodens im Innern der Kiste ausgesägt ist, und ziehe den vermeintlichen Boden der Kiste – in Wahrheit ein passgenaues, dünnes Stück Brett – nach oben. „Ein Geheimfach!“, schießt es mir durch den Kopf und ich muss an die Abenteuerbücher aus meiner Kindheit denken. Allerdings hört das Abenteuergefühl in dem Moment auf, als ich sehe, was unter dem falschen Boden zu Tage kommt. Drei alte Fotos und ein Zettel mit einer Liste an Namen. Irgendwie langweilig. Zumindest aber unspektakulär.

Ich schaue mir die Fotos etwas genauer an. An den Rändern ist das Papier schon leicht vergilbt, auch die Farben der Bilder selber scheinen nicht mehr zu hundert Prozent die originalen zu sein. Einen Datumsstempel kann ich aber auf keinem der Bilder finden, auf denen jeweils eine kleine Gruppe an Leuten abgebildet ist. Wie es ausschaut, sind es nicht immer die gleichen Personen, aber ich kann keinen von ihnen identifizieren. Ich überschlage schnell die Anzahl der Personen auf den Bildern, dann die Namen auf der Liste. Auf der Liste stehen mehr Namen, als Leute auf den Fotos sind. Immer noch mit einem imaginären Fragezeichen über dem Kopf lege ich die Fotos und die leicht zerknitterte Liste, die auf ein längliches Stück Papier gekritzelt ist, zurück auf den Tisch.

Ich strecke mich, dehne die Schultern und den Rücken. Dabei bemerke ich, als ich durch das Küchenfenster schaue, das nach hinten auf den kleinen Garten zeigt, dass die Wolken, die gerade noch am Horizont aufgezogen waren, nun den gesamten Himmel bedecken. Es ist trüb geworden draußen. Drinnen ebenfalls. Ich stehe auf und schalte das Licht an. Es flackert kurz, dann brennt es aber einwandfrei. Vielleicht ist die Glühbirne nicht ganz reingedreht. Der Kaffee ist mittlerweile einigermaßen auf Trinktemperatur und ich nehme einen großen Schluck. Fühle mich gleich darauf schon wie neugeboren. Noch ein Schluck. Innerlich bereite ich mich schon auf den Weg zum Dachboden vor, um die noch nicht durchforstete Ecke zu erkunden. Mein Blick bleibt nochmal an dem seltsamen Gerät hängen. Von hier, wo ich gerade stehe, scheint das Gerät eine Öffnung zu haben, eine Art Klappe. Neugierig hebe ich das Gerät hoch und untersuche es noch einmal. Ich fummle an der Öffnung, ziehe leicht daran, drücke, doch zunächst passiert wieder nichts. Etwas schwungvoller als beabsichtigt setze ich die Maschine auf dem Tisch ab. Und siehe da – mit einem leisen Klacken springt eine Abdeckung nach oben und ein kleiner, quaderförmiger Raum, tut sich in der Maschine auf. Dieser ist jedoch leer, wie ich gleich feststelle, ohne doppelten Boden. Was soll ich nun damit anfangen? Ein Schmuckkästchen? Wozu dann aber die Kurbel?

Ich habe ja eigentlich wirklich besseres zu tun, als über dieses Ding nachzugrübeln, aber jetzt, nachdem ich es einmal in die Hände bekommen habe, möchte ich wirklich wissen, was das für eine Gerätschaft ist. Ich schaue kurz auf die Uhr. Es ist noch genügend Zeit, bis mein Bruder hier auftaucht. Es war zwar zwölf Uhr ausgemacht und bis dahin wollte ich mit dem Dachboden durch sein, aber wie ich ihn kenne, kommt er sowieso zu spät. Ich nehme die Fotos noch einmal zur Hand, versuche, meine Eltern auf den Bildern zu erkennen. Sie sind definitiv nicht dabei. Auch auf der Liste kommt mir keiner der Namen bekannt vor, wobei manche Namen wirklich schwer zu entziffern sind. Derjenige, der die Liste geschrieben hat, hatte wirklich keine vorzeigbare Handschrift.

Im künstlichen Licht der Küchenlampe fällt mir dann auf einmal etwas auf. Die Namen sind nicht das Einzige, das auf der Liste steht. Vorher habe ich das offenbar nicht bemerkt, aber jetzt, bei den veränderten Lichtverhältnissen, kann ich einen leichten, rosafarbenen Schatten auf dem alten Papier erkennen. Es sieht fast so aus, als wären manche Namen durchgestrichen worden. Ich halte das Papier näher an meine Augen. Tatsächlich. Ich habe selbst schon erlebt, dass rote Tinte schneller ausbleicht als andersfarbige. Offenbar ist dies auch hier der Fall. Einige Namen wurden anscheinend vor langer Zeit durchgestrichen. Merkwürdig.

Die Handschrift, mit der die Namen geschrieben sind, kann ich mit ziemlicher Sicherheit nicht meinen Eltern zuordnen. Vielleicht ist diese Maschine noch von meinen Großeltern? Oder auf dem Flohmarkt gekauft worden? Ich nehme einen weiteren Schluck aus der Kaffeetasse.

Vielleicht ist die Maschine ein vorsintflutlicher Schredder? Oder ein ausgefallenes Stempelgerät? Womöglich komme ich der Lösung dieses Rätsels näher, wenn ich die Kurbel betätige, wenn zur gleichen Zeit etwas in dem Gerät ist. Ich schaue mich kurz in der Küche um, auf der Suche nach einem Objekt, mit dem ich diese These testen kann. Etwas Hartes will ich nicht in die Box legen. Nicht, dass das Gerät dann kaputt geht. Auch nichts, das ich noch brauche, falls es wirklich eine Art Reißwolf ist. Mir kommt eine Idee und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich schnell in den Flur gehe und mir ein relativ neues Foto von meinem Bruder schnappe, das dort an den Garderobenspiegel geklemmt ist. Ich habe selber noch einen Abzug davon in einem Album zu Hause. Ich denke mir, dass ein Foto vermutlich nicht falsch ist, da doch Fotos mit in der Kiste des Geräts waren. Eines dieser Fotos will ich aber nicht nehmen, schließlich weiß ich nicht so genau, wem sie gehören. Ich schaue meinem lachenden, vielleicht achtzehnjährigen Bruder in die Augen. Ein bisschen hoffe ich jetzt sogar darauf, dass das Gerät wirklich ein Schredder ist. Nur ein bisschen. Nur ein klein wenig Schadenfreude. Eigentlich mag ich ja meinen Bruder.

Ich gehe in die Küche zurück, lege das Foto in die Öffnung und drücke den Deckel darauf. Ohne ein hörbares Klicken rastet er ein. Etwas zögerlich greife ich die Kurbel. Plötzlich klappert der Rollladen des Küchenfensters hinter mir, der nicht ganz hinaufgezogen ist. Warum windet es draußen auf einmal so stark? Es ist fast noch finsterer geworden als noch vor ein paar Minuten.

Ich widme meine Aufmerksamkeit wieder der Maschine, drehe einmal langsam an der Kurbel, bis ich ganz herum bin. Es geschieht nichts. Ich inspiziere das Gerät ringsherum. Kann keine Veränderung erkennen. Ich habe auch während des Kurbelns nichts gehört. Ich will einen Blick ins Innere der Maschine werfen und bekomme den Deckel wieder nur mit Mühe nach oben. Das Foto liegt noch genau so drin wie gerade eben. Na gut, vielleicht braucht das Gerät nur etwas Anlaufzeit. Schließlich scheint es schon ziemlich lange unbenutzt auf dem Dachboden gelegen zu haben. Ich schließe den Deckel wieder und kurble zweimal im Kreis herum. Dann schaue ich erneut nach. Keine Veränderung. Der Rollladen klappert schon wieder und in einiger Entfernung meine ich, ein Donnergrollen zu hören. Es scheint eines dieser Sommergewitter zu sein, das gerade aufzieht.

Ich drücke den Deckel wieder nach unten und versuche es ein letztes Mal. Ich greife die Kurbel und drehe einmal, zweimal, dreimal die Kurbel. Wieder nichts. Etwas enttäuscht öffne ich den Deckel wieder und mit einem gemurmelten „Nochmal Glück gehabt“ hole ich meinen Bruder wieder aus dem eingebauten Kästchen. Das Foto meines Bruders in der linken Hand greife ich mit der rechten nach meiner Tasse, in der noch ein Schluck Kaffee sein sollte.

„Au, verdammt!“ Überrascht ziehe ich meine Hand zurück. Die Tasse ist kochend heiß in meiner Hand. Wie in Zeitlupe kann ich beobachten, wie die Tasse, die ich schon ein wenig angehoben hatte, zurück auf den Tisch fällt, umkippt und der Rest Kaffee genau über die Maschine schwappt. Ich führe meine Finger zum Mund, um die Verbrennung, die die heiße Tasse mir zugefügt hat, gleich etwas mit Spucke abzukühlen. Im selben Moment gibt es einen leichten Knall und eine Rauchfahne steigt aus der Maschine auf. Ich weiß gar nicht, worum ich mich zuerst kümmern soll. Eilig springe ich auf zum Spülbecken und halte meine Hand unter kaltes Wasser. Es tut einigermaßen weh. Warum war der Kaffee auf einmal so heiß?

Während ich mit der Hand so unter dem fließenden Wasserstrahl stehe, fällt mein Blick aus dem Fenster. Der Sturm wird offenbar schwächer. Ich atme ein paar Mal tief durch. Langsam beruhigt sich mein Herzschlag wieder. Was ist da gerade eben passiert? Vom Fenster schaue ich zurück zum Tisch. Aus der Maschine steigt immer noch ein dünner Faden Rauch, der aber allmählich schwächer wird. Ich stelle das Wasser ab. Um eine Brandblase komme ich wohl nicht herum, stelle ich fest, als ich einen Blick auf meinen rechten, rot angelaufenen Daumen werfe.

Ich gehe zum Tisch und begutachte die Maschine und meine Kaffeetasse. Die Maschine hat aufgehört zu rauchen. Ganz vorsichtig stupse ich mit dem Finger gegen die Tasse. Sie ist immer noch warm, aber schon etwas kühler als gerade eben noch. Mit einem tiefen Seufzer lasse ich mich gerade auf den Stuhl sinken, als es an der Haustür klingelt. Ich zucke zusammen. Irgendwie hat mich dieser Zwischenfall gerade eben schreckhaft gemacht.

Ich stehe auf und gehe zum Eingang. Ich drücke die Klinke und ziehe die Tür langsam auf.

„Hallo Schwesterchen!“, ruft mir mein Bruder fröhlich entgegen. „Bist du fertig?“

Etwas bedröppelt stehe ich im Türrahmen. Damit hatte ich nun nicht gerechnet. Ich schaue über seine Schulter, sehe blauen, fast wolkenlosen Himmel. Die Sonne spiegelt sich auf dem Asphalt der Straße und blendet mich regelrecht.

„Hey, was ist denn los? Du wirst nicht glauben, was mir gerade eben passiert ist“, plappert mein Bruder weiter. „Ich habe gedacht, mir bleibt das Herz stehen.“

„Äh, ja…“, bringe ich gerade irgendwie hervor, als sich mein Bruder an mir vorbei ins Haus quetscht. Mit einem Bellen drückt sich Eberhard an mein Bein. Ich tätschle kurz seinen Kopf und als er merkt, dass ich nicht gerade enthusiastisch auf sein Auftauchen reagiere, folgt er meinem Bruder. Ich schließe die Tür.

„Hey, das musst du hören“, erzählt mein Bruder drauf los, als ich in die Küche komme, wo er sich schon einen Kaffee aus der noch halbvollen Kanne in eine neue Tasse eingeschenkt hat. „Also, ich bin gerade auf dem Weg hierher, draußen, auf der Landstraße, als ein LKW plötzlich direkt vor meiner Windschutzscheibe auftaucht. Er ist mir wirklich genau entgegengekommen. Ich hab gedacht, mein letztes Stündlein hat geschlagen. Echt wahr. Eberhard ist auch noch ganz durcheinander.“

Ich schaue meinen Bruder an, dann seinen Hund, einen großen Mischling aus Bernhardiner und irgendetwas anderem. Irgendwie komme ich gerade nicht mit. Wieso nennt er seinen Hund Eberhard?

„Von einer Sekunde auf die andere ist es doch finster geworden, hast du das mitbekommen? Vielleicht hat er mich deshalb nicht gesehen. Auf jeden Fall schafft er es gerade noch, im letzten Moment anzuhalten. Ich bin auch voll auf die Bremse gestiegen. Boah, das war… Ich weiß auch nicht. Echt knapp.“

„Das…“ Eberhard kommt wieder zu mir, nachdem er die Küche einmal abgelaufen ist und festgestellt hat, dass es hier nichts Besonderes gibt. „Das hört sich echt gruselig an.“

„Das war’s auch. Mann, ich hoffe, so etwas passiert mir nicht noch einmal. Echt wahr.“

Ich merke, wie mein Bruder mich anschaut. Er hat die Augenbrauen leicht zusammengezogen, dann deutet er auf den Tisch. „Was ist das für ein Ding?“

„Keine Ahnung“, antworte ich und schaue zu der Maschine, auf die er gezeigt hat. Er geht näher ran, hebt sie hoch, dreht und wendet sie. „Hab ich auf dem Dachboden gefunden.“

„Mit den Fotos da?“ Er zeigt auf die drei alten Fotos, die Liste und das Bild, auf dem er zu sehen ist. „Aber sie ist kaputt. Schaut verkohlt aus. Hier, siehst du?“ Er zeigt mit dem Finger auf einige rußgeschwärzte Stellen. Die müssen gerade eben bei dem Knall entstanden sein. Stirnrunzelnd betrachte ich das Ganze aus einiger Entfernung, immer noch die Schlappohren von Eberhard kraulend. Hat der Kaffee das Teil wirklich kaputt gemacht?

„Hey, da steht was drauf!“, ruft mein Bruder mit einem Mal aus und wischt mit dem Finger etwas Ruß an einer Stelle beiseite. „Da ist etwas eingraviert, Moment… Wem du wünschst Qual, mach sieben zu deiner Wahl. Was ist denn das für ein Spruch?“

Mit einem unbestimmten, flauen Gefühl im Magen nehme ich ihm das Gerät ab und sage: „Egal. Es ist kaputt. Werfen wir es weg.“

(Wörter laut MS Word: 3.187; hab’s nicht nachgezählt…^^)

Beitragsbild von pixabay

18 Kommentare zu „Die Maschine

  1. Oha das ist gut. Obwohl ich es schade finde das man ein wenig merkt das der Kaffee nur da ist weil es vorgegeben wurde. Sonst echt gut, vor allem das Ende. Ich denke ich mach das auch, also so eine Story schreiben, wenn das gestattet ist. ;) Ich mag auch den styl und wie langsam klar wird in welcher Situation sich die Protagonistin befindet. (Ha, alle Umlaute umgangen)
    -Missy

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  2. Schöne Story, erinnert mich an Stephen King – nur dass der mit „dem Bruder“ nicht so nett umgegangen wäre wie Du :-)
    Wer da klingelt, habe ich aber nicht verstanden – ein warnender Geist?
    Liebe Grüße!

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  3. Es ist technisch einwandfrei und wirklich stimmig geschrieben fand ich, wobei ich es immer tükisch finde wenn jemand in der Ich-Form schreibt und man erst gegen Ende der Geschichte überhaupt weiß welches Geschlecht der Erzähler hat (als Mann geht man ja da immer egozentrisch von einem gleichgeschlechtlichen Protagonisten aus sofern nichts anderes gesagt wird) Leider habe ich den Kniff der Maschine nicht so ganz begriffen, sollte es da einen zusammenhang geben?

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    1. Ach ja, das mit dem Ich-Erzähler… Das stimmt, es wird am Anfang nicht gesagt, welches Geschlecht er/sie hat. Erst am Ende, als der Bruder von seinem „Schwesterchen“ spricht… Für die Handlung an sich ist das zwar eher nebensächlich, aber ich kann mir vorstellen, dass man als Leser hier kurz aus dem Konzept kommt, wenn man sich die ganze Zeit über jemand anderen vorgestellt hat.
      Zum Kniff mit der Maschine: Es sollte in der Tat einen Zusammenhang geben… Zähle mal, wie oft die Ich-Erzählerin gekurbelt hat und was der Text besagt… Ich wollte das nicht so mega-offensichtlich reinschreiben, war mir dann aber selbst nicht so sicher, ob es so, wie ich es geschrieben habe, rüberkommt :)

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  4. Da hat der Bruder ja nochmal Glück gehabt, dass der Kaffee die Maschine zerstört hat! Weil der Kaffee auf einmal wieder heiss war dachte ich zuerst, dass sie vielleicht in die Vergangenheit zurückgegangen ist, nur ein kleines bisschen. Sehr spannende Geschichte.

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